Brüder Callisto und Alberto Cosulich

Callisto (1847 – nach 1927) und Alberto Cosulich (1849 – nach 1927) Pioniere des modernen italienischen Schiffbaus und Gründer des Cantiere Navale Triestino (CNT, 1908). Callisto und Alberto Cosulich nutzten Familienkapital, internationale Netzwerke und innovationsfreudige Gesetzgebung, um aus einem Küstenstreifen bei Monfalcone in Rekordzeit eine Hochleistungswerft aufzubauen. Damit schrieben sie nicht nur italienische Industriegeschichte, sondern beeinflussten dauerhaft die globale Schiffbautechnik und die wirtschaftliche Landschaft der gesamten oberen Adria.

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Familien- und Herkunftskontext

  • Wurzeln in Lussino (Lošinj), Golf von Quarnero: Die Familie Cosulich gehörte seit dem 18. Jh. zu den bedeutendsten Reeder- und Kaufmannsfamilien an der adriatischen Küste.
  • Seefahrtstradition: Bereits Callistos und Albertos Vater besaß Segelschiffe für Küstenhandel; beide Brüder wuchsen praktisch “auf dem Deck” auf und entwickelten früh nautische, technische und kaufmännische Kenntnisse.

Frühe Laufbahn & Aufbau unternehmerischer Kompetenzen

  • F.lli Cosulich (Gebrüder Cosulich) – ab den 1870er-Jahren eigener Reedereibetrieb mit Dampfschiffen für Getreide- und Auswanderertransporte (Triest–Amerika-Linien).
  • Unione Austriaca di Navigazione – Callisto saß im Verwaltungsrat; dadurch Kontakte zu internationalen Finanziers und britischen Ingenieuren.
  • Technologisches Interesse – beide Brüder beobachteten den Übergang von Segel- zu Stahldampfschiffen und investierten in moderne Maschinen, Dockanlagen und Lloyd-Zertifizierungen.

Warum eine eigene Großwerft?

  • Gesetzliche Anreize (österreichisches Schiffbau-Gesetz vom 23. Feb 1907): Steuererleichterungen und Subventionen für neue Werften.
  • Strategische Unabhängigkeit: Süddalmatinische und italienische Reedereien waren stark von britischen, deutschen oder österreichischen Bauplätzen abhängig.
  • Vision der Brüder: Eine „integrierte Industrie-Basis“ schaffen, um Passagier-, Fracht- und Marine-Schiffe in der Region selbst zu konstruieren – mit Exportpotential für das künftige Italien.

Gründungsprozess des Cantiere Navale Triestino (1907 – 1908)

Schritt Inhalt Beteiligte
Standortwahl Panzano bei Monfalcone – flache Lagune, gute Eisenbahn-Anbindung, Nähe zu Triest Lokale Behörden, Hafenverwaltung
Landakquisition Kauf und Pacht von Brach- und Abbauflächen (Kies/Sand) → Hafenbecken entstand durch Kiesentnahme Cosulich-Familie, Baugesellschaft Panzano
Finanzierung ca. 4 Mio. Kronen Grundkapital
– Eigenmittel der Familie
– Kreditlinie der Wiener Creditanstalt
– Beteiligung des Industriellen Arthur Kuffler
Callisto (Finanzchef), Kuffler (Aufsichtsrats­vors.), regionale Banken
Technische Planung Verpflichtung britischer Experten
– James Stewart (Techn. Direktor, Ex-Inspector der Unione Austriaca)
– Andrew Munroe (Chefingenieur)
Royal Institution of Naval Architects, lokale Bauhandwerker
Gründung 3. März 1908: Notariatsakt zur „Cantiere Navale Triestino A.G.“ in Triest; erste Aktienausgabe Vorstände Callisto & Alberto

Erste Großprojekte (1908 – 1911)

  1. Kaiser Franz Joseph I – Luxus-Passagierdampfer, 8.500 BRT, kombinierte Turbinen/Verbundmaschinen.
    Passagierdampfer auf See - Kaiser Franz Joseph I - 1912 – © Collezione Maurizio Eliseo
    Passagierdampfer auf See – Kaiser Franz Joseph I – 1912 – © Collezione Maurizio Eliseo
  2. Triest & Split – regionale Fähr- und Frachtschiffe, frühe Werftreferenzen für die Österreichische Lloyd.
    Stapellauf des gemischten Dampfschiffes Triest. 16. Dezember 1908 – © Aldebaran Maritime Association, Triest
    Stapellauf des gemischten Dampfschiffes Triest. 16. Dezember 1908 – © Aldebaran Maritime Association, Triest
    Gemischtes Dampfschiff Triest auf See. 1909 – © Aldebaran Maritime Association, Triest
    Gemischtes Dampfschiff Triest auf See. 1909 – © Aldebaran Maritime Association, Triest
  3. Nereide – Marineunterstützungsschiff mit neuem Torpedoschutz-Konzept.

Wirkung: Die erfolgreiche Ablieferung bewies Leistungsfähigkeit, sicherte weitere Marine- und Postdampferaufträge und brachte CNT in Konkurrenz zu Stabilimento Tecnico Triestino und britischen Yards.

Rollenverteilung und Führungsstil

  • Callisto:
    • Hauptinvestor, Aufsichtsrats­präsident (später Senator des Königreichs Italien).
    • Verhandelte Staatsgarantien und Flottenaufträge, pflegte Kontakte zur Politik in Wien und Rom.
  • Alberto:
    • Werftdirektion vor Ort; beaufsichtigte Bauplätze, Personalrekrutierung (bereits 1.800 Arbeiter 1909) und die Integration britischer Werkstattnormen.
    • Innovativ im Arbeitsschutz (Kantinen, Sanitätsposten) – damals fortschrittlich.

Technische und wirtschaftliche Bedeutung

  • Technologietransfer: Erste italienisch-österreichische Werft mit großen elektrischen Portal­kränen, Nieten unter Druckluft und eigenem Stahlwalzwerk.
  • Regionale Entwicklung: Monfalcone wuchs von 6.000 auf >10.000 Einwohner binnen fünf Jahren; neue Arbeitersiedlungen, Schulen, Krankenhäuser durch Cosulich-Stiftungen.
  • Militärischer Beitrag: Übernahm während des Ersten Weltkriegs U-Boot- und Zerstörerbau; Basis für spätere Fincantieri-Werft.

Spätere Jahre & Vermächtnis

  • 1921 Umwandlung in „Cantieri Riuniti dell’Adriatico“ (CRDA) unter Beibehaltung der Cosulich-Führung.
  • Callisto zog sich Ende der 1920er zurück; Alberto blieb beratend, bis die Familie 1930 den Großteil der Anteile an staatliche Institute übergab.
  • Beide Brüder setzten ihr philanthropisches Engagement fort (Seefahrtschule Lussino, Arbeiter­wohnheime Monfalcone).

Zusammenfassung der Kernerfolge

  • Die Brüder überführten ihre maritime Erfahrung in ein industrielles Großprojekt, das binnen zwei Jahren zur modernsten Werft der nördlichen Adria wurde.
  • Durch 4 Mio. Kronen Risikokapital, politische Lobbyarbeit und britische Ingenieurskunst entstand ein Infrastruktur-Komplex, der Italiens Schiffbau bis heute prägt.
  • Ihre Vision verband unternehmerische Initiativetechnologischen Fortschritt und regionale Entwicklung – ein Modell, das spätere Industriecluster an der Adria nachahmten.
Wiedergabe eines Artikels, der am 31. Januar 1907 im L'Osservatore Triestino veröffentlicht wurde und in dem die Gründung einer Baustelle in Monfalcone durch die Brüder Cosulich – © Biblioteca Civica Attilio Hortis, Triest – angekündigt wird
Wiedergabe eines Artikels, der am 31. Januar 1907 im L’Osservatore Triestino veröffentlicht wurde und in dem die Gründung einer Baustelle in Monfalcone durch die Brüder Cosulich angekündigt wird – © Biblioteca Civica Attilio Hortis, Triest

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