Wenn der kräftige Wind der Adria – der Bora-Wind – durch die Küstenstreifen fegt, ist Geschwindigkeit das Gebot der Stunde. Kein Name hätte besser zu den eleganten und leistungsstarken Motorbooten aus dem Hause CRDA – später Italcantieri – gepasst als eben jener.
Die Geburt einer Ikone
Die Geschichte beginnt Ende der 1950er Jahre in Monfalcone. Mit dem Niedergang der OMFA-Werke stand auch die CRDA-Werft vor einer Herausforderung: Was tun mit dem erfahrenen Personal und der modernen Infrastruktur? Ingenieur Ferdinando Calioni übernahm das Ruder und richtete den Blick auf zukunftsweisende Materialien. Mit dem Aufbau einer neuen Abteilung für Kunststoffverarbeitung („MAP“ – Materiale Plastico) setzte CRDA auf Glasfaser – ein Material, das damals in der Bootsbranche revolutionär war.
In Zusammenarbeit mit den wichtigsten Materialherstellern entwickelte CRDA so die ersten innovativen GFK-Boote. Das erste Modell im Jahre 1962, der „Borino“, war ein wegweisendes Glasfaser-Planingboot mit einer semi-runden Karkasse, ausgestattet mit Außenbordmotoren. Dieses Modell legte den Grundstein für die Serie und zeigte bereits die Ambition, moderne Materialien und Designs einzusetzen, um den Bedürfnissen von Freizeitkapitänen gerecht zu werden.
Eine Welle der Innovation

Mit wachsendem Enthusiasmus wächst die Modellpalette: Noch im gleichen Jahr (1962) erscheint das sportliche „Bora 2“ – es setzte mit seiner Knickspant-Bauweise und kraftvoll angetrieben von einem Volvo-Penta-Motor, neue Maßstäbe für Fahrverhalten und Reichweite. Moderne Produktionsmethoden, innovative Materialien und viel technischer Sachverstand fließen in die Entstehung weiterer Modelle ein.
Ab 1963 erweiterte sich die Produktpalette der Bora-Serie mit Modellen wie dem Bora 2B (7 Meter Länge) und dem Bora 3 (9 Meter Länge, ausgestattet mit Innenbordmotoren von BPM mit 2×120 PS). Diese Boote bauten auf den Erfolgen des Bora 2 auf und boten mehr Platz und Leistung, um den steigenden Anforderungen der Kundschaft gerecht zu werden. Besonders der Bora 3 zeigte, dass die Serie auch für anspruchsvollere maritime Abenteuer geeignet war.
Für jeden Anspruch findet sich bald das passende Modell: kleinere, agile Boote mit hervorragender Manövrierfähigkeit, luxuriöse Cruiser mit edler Holzausstattung und wuchtige Kraftpakete für Abenteuer auf offenem Meer.
In den Jahren 1964 und 1965 folgte das Flaggschiff der Serie, der Bora 4, mit einer beeindruckenden Länge von 10,40 Metern und zwei GM Diesel-Innenbordmotoren mit je 120 PS. Dieses Modell kombinierte Robustheit mit Komfort und richtete sich an Kunden, die Wert auf Luxus und Zuverlässigkeit legten. Es war ein klares Zeichen dafür, dass die Bora-Boote nicht nur technisch innovativ, sondern auch stilistisch wegweisend waren.
Mitte der 1960er Jahre kamen weitere Varianten hinzu, darunter der Bora 2C, der mit einer höheren Tonsur (Aufbau) und Volvo Penta Motoren mit 2×110 PS ausgestattet war, sowie der Bora 103 (10,3 Meter, 2×216 PS GM), der speziell für Offshore-Fahrten konzipiert wurde. Diese Modelle verdeutlichen die Vielseitigkeit der Serie und die Fähigkeit der Werft, auf unterschiedliche Kundenwünsche einzugehen.
Aufbruch in neue Dimensionen
Auch die Fusion zur Italcantieri S.p.A. 1966 und der ständige Austausch zwischen den besten Ingenieuren tragen zur Erfolgsgeschichte bei. Jedes neue Modell setzt Maßstäbe und geht auf Kundenwünsche ein.
Sportliche Innovationen und Designverbesserungen
Die Jahre 1966 und 1967 brachten sportlichere Varianten wie den Bora GTS, der mit einem Interieur aus Blech und Holz beeindruckte, und den Bora Major, ein 12 Meter langes Spitzenmodell mit 2×283 PS GM Motoren. Diese Boote waren nicht nur leistungsstark, sondern auch ästhetisch ansprechend, mit einem Fokus auf hochwertige Innenausstattung und modernes Design. Die kontinuierliche Verbesserung in diesen Bereichen machte die Bora-Boote zu einem Symbol für italienische Handwerkskunst und Ingenieurskunst.
Ein weiterer bedeutender Schritt in der technischen Entwicklung war die Einführung der Carena monomorfa mit V-Konfiguration ab 1967. Modelle wie der Bora Junior, der sich gut verkaufte, sowie die Serien Bora GT, Bora 103 und Bora 85/86 profitierten von diesem fortschrittlichen Rumpfdesign, das die Stabilität und Geschwindigkeit weiter optimierte. Diese Innovationen zeigten, wie die Bora-Serie sich an neue technologische Möglichkeiten und maritime Anforderungen anpasste.
Ein sportliches Erbe
Mit dem berauschend schnellen „Sportsman“ von 1970 und den kraftvollen Modellen „Bora 85“, „Bora 86“ erreicht die Bora-Serie ihren Zenit. Die Vielfalt der Motorisierungen, die erstklassige Verarbeitung und das ikonische Design setzen bis heute Maßstäbe für italienische Bootsbaukunst.
Das Ende einer Ära: 1972
Trotz des Erfolgs der Bora-Boote wurde die Produktion im Jahr 1972 eingestellt. Der Grund lag in einer strategischen Umorientierung der Werft in Monfalcone, die sich zunehmend auf Großprojekte wie den Bau von Kreuzfahrtschiffen und anderen großen Schiffen konzentrierte. Die Ölkrise der Siebziger tat ihr Übriges. Die Bora-Serie endete mit insgesamt rund tausend produzierten Einheiten, die in den 1960er und frühen 1970er Jahren zahlreiche Bootsliebhaber begeisterten.
Fazit:
Die Bora-Motoscafo aus Monfalcone sind mehr als nur elegante Wasserfahrzeuge – sie sind ein Stück italienische Industriegeschichte, das auf Innovation, Gemeinschaftsgeist und die Leidenschaft für Geschwindigkeit gebaut wurde. Sie sind ein Zeugnis der technischen und gestalterischen Fortschritte, die die italienische Bootsbauindustrie in den 1960er Jahren prägte. Von den bescheidenen Anfängen mit dem Borino bis hin zu den leistungsstarken Modellen wie dem Bora Major zeigte die Serie eine beeindruckende Entwicklung, die sowohl die Bedürfnisse der Kunden als auch die Möglichkeiten der Technik berücksichtigte. Auch wenn ihr aktiver Bau längst Vergangenheit ist: Im Herzen der Nautik-Enthusiasten rauscht der Bora-Wind weiter!
Chronologische Übersicht der CRDA-Bora-Boote (1960–1972)
(klicken Sie hier für eine Zeichenerklärung):
Technische Entwicklungs-Leitlinien
Materialrevolution
- Durchgehender Einsatz von glasfaserverstärktem Polyester machte CRDA zum Vorreiter im europäischen Serien-GfK-Bootsbau.
- Leichtere Schalen ermöglichten höhere Gleitgeschwindigkeiten bei moderaten Motorleistungen.
Rumpfgeometrie
- 1960–63: semi-runder Planer ➜ besserer Komfort bei Seegang, aber limitiert bei Tempo.
- 1962–66: scharfkantige Knickspant-Rümpfe („carene a spigolo“) liefen trockener und setzten weniger kraftvollen Motoren effizienter um.
- Ab 1966: monoedrisches Tief-V (18–22 °) für Offshore-Tauglichkeit; Vorgriff auf das internationale Deep-V-Konzept von Bertram & Co.
Motorisierung
- Übergang von Einzel-Außenbordern (60 PS) zu Twin-Inboards (bis 2×283 PS) in nur acht Jahren.
- Einsatz robuster GM-Diesel ab Bora 4 – Hinweis auf längere Reichweiten- und Charter-Anforderungen.
Einordnung in die Zeitgeschichte
- „Wirtschaftswunder“ 1958–1964 – steigende Einkommen in Italien lassen Freizeitboote erstmals Massenmarkt werden; Borino & Bora 2 treffen diesen Nerv.
- Fiberglas-Durchbruch 1962 – CRDA gehört zu den ersten Werften, die Großserienformen herstellen; parallel laufen ähnliche Experimente bei Riva (aber weiterhin Mahagoni).
- Offshore-Racing-Welle 1965–70 – internationale Rennen (Cowes-Torquay, Viareggio-Bastia) beflügeln Tief-V-Forschung; Bora 103 und GTS positionieren sich hier.
- Tourismus-Expansion an der Adria – Charter- und Wochenendtouren fördern größere, dieselbetriebene Cruiser (Bora 4, Major).
- Werftstrategie-Wechsel 1972 – CRDA/Italcantieri verlagert Ressourcen auf Großschiffbau (Öltanker, Fährschiffe); Kleinboot-Linie wird eingestellt, Formen gehen an ELNAGH.
- Vorboten der Ölkrise 1973 – steigender Treibstoffpreis verschiebt Marktinteresse weg von Hochleistungs-Twin-Benzinern; Ende der Bora-Ära bestätigt diesen Trend.